Weinlese in Klingenmünster vor 50 Jahren
Laut hallte es in den Wingertzeilen: „Trauwe – Trauwe!“ Dass jemand Trauben gefunden hatte und das freudig seinen Mitmenschen mitteilen wollte, war wohl kaum anzunehmen. Hingen doch alle Rebstöcke übervoll von süßen, von der Sonne gebratenen Traubenklötzen. Der Ruf hatte einen anderen Sinn: Ein Traubenkübel war voll und musste nun zwischen den Rebstöcken von Rebzeile zu Rebzeile bis in die Zeile transportiert werden, in der sich der Hottenträger befand. Der nahm den Kübel in Empfang, leerte ihn und gab ihn auf dem gleichen Weg wieder zurück.
Wolfgang Hochdörffer (78) lebt schon sein ganzes Leben in Klingenmünster. Für ihn waren der Herbst und das Herbsten schon immer von großer Bedeutung, galt es doch, die Ernte der Arbeit eines ganzen Jahres einzuholen. Gerne erinnert er sich an die vergangene Zeit ohne Traktoren und Vollernter: “Die Weinlese war im Dorf immer ein großes Ereignis. Ein, zwei Wochen vor dem erwarteten Herbsttermin mussten die großen, hölzernen Bottiche auf den Kopf gestellt und mit Wasser gefüllt werden, damit das Holz aufquillt und sie dicht werden. Am Tage vor dem Lesetermin wurden sie auf die Herbstwagen gehoben und dort ordentlich verkeilt.“
Herbsten war Familiensache, die gesamte Familie war in der Regel beim Herbsten im Einsatz. Häufig kamen auch Verwandte aus der näheren und auch weiteren Umgebung. Nur selten wurden noch fremde Herbstleute angestellt.
„Am Herbsttag rumpelten die hölzernen Herbstwagen, gezogen von Kühen oder Pferden, durch das Dorf zu den Wingerten. Erst in den späten fünfziger Jahren kamen die ersten Schlepper als Vorspann in Einsatz“, berichtet Hochdörfer. „Die Kinder durften auf den Wagen mitfahren, wenn sie Glück hatten, in einem der noch leeren Bottiche. Rasch wurden vor dem Wingert die Zeilen unter den Herbstleuten aufgeteilt. Überall hörte man lautes Lachen, Gelächter und Witze hallten weithin durch das Rebgelände. Zügig nahm jeder sein Schneidwerkzeug (Messer, Sesel oder Traubenschere), griff in das oft noch nasse Laub und schnitt damit in seiner Reihe die Trauben ab, die dann in einem Holzkübel oder später dann in einem verzinkten, innen weiß gestrichenen Blechkübel. War dieser voll, ertönte der laute Ruf: „Trauwe –Trauwe!“ Rasch wurde der Kübel unter den Stöcken zum „Hottenträger“ transportiert, der damit nach und nach seine damals noch hölzerne Hotte füllte, die dann zum Herbstwagen getragen werden musste, eine oft mühsame Arbeit bei den schweren Lehmböden in unserer Gegend. Dazu musste sie zunächst einmal mit Hilfe einer zweiten Person auf die Schulter hochgehoben werden, bei weit über einem Zentner Gewicht gar nicht so einfach. Erst später kam der „Hottenknecht“ zum Einsatz, ein dreibeiniges Metallgestell mit einer Kurbel, mit dem die gefüllte Hotte auf Schulterhöhe gehoben wurde“.
Hochdörfer kam ins Lachen, als er dann erzählte:
„Eine weitere Schwierigkeit war das Entleeren der Hotte. Über eine schmale Leiter musste der Träger den Bottich erreichen, auch das nicht so einfach mit dem Gewicht auf dem Rücken. Gelegentlich kam es einmal vor, dass er das Gleichgewicht verlor und samt Hotte im Bottich landete. Sich in den klebrigen Trauben wieder hoch zu kämpfen, war dann gar nicht so einfach und geschah häufig unter dem schadenfrohen Gelächter der herbeigelaufenen Herbstleute“.
„Am schönsten aber waren die Pausen. Nach zwei bis drei Stunden wurde die erste Rast gemacht. Im Gras oder auf einem umgestülpten, noch leeren Bottich, der zuvor vom Herbstwagen herunter gehoben worden war, wurde ein Tischtuch ausgebreitet. Aus den mitgebrachten Körben wurde Deftiges, Hausmacher, würziger Käse und dunkles Brot hervorgeholt. In der frischen Luft schmeckte es allen immer ausgezeichnet. Und ein erstes Glas Wein durfte auch nicht fehlen“, erinnert sich Hochdörfer lebhaft. „Selbst bei schlechtem Wetter, bei Regen und Kälte, war die Stimmung immer Klasse, Witze, lautes Gelächter hallten durch den Wingert, es wurde erzählt, gelästert, gehänselt, gefrotzelt…!“
In der Regel war am späten Nachmittag die Arbeit beendet. Die Arbeitsgeräte wurden auf dem Herbstwagen verstaut und die Heimfahrt begann. Damit der oft schwerbeladene Wagen auf abschüssigem Gelände nicht zu viel Fahrt bekam, musste er gebremst werden. Dies übernahm eine zuverlässige Person, die mit der Bremskurbel, die sich hinten am Wagen befand, mehr oder weniger stark die Hinterradbremsen betätigte.
Zu Hause war schon ein warmes Essen vorbereitet, das auf die fleißigen Herbstleute wartete und nach getaner Arbeit und nach einem langen Aufenthalt in der frischen Luft natürlich ausgezeichnet schmeckte.
Das Abladen der gelesenen Trauben war nochmals eine harte Arbeit. Oft mussten sie in Kübeln zu der im Keller stehenden Traubenmühle getragen werden. Im Handbetrieb wurden die Trauben gemahlen und dann zum Pressen auf die Kelter gebracht.
„Oft war die Arbeit erst kurz vor Mitternacht beendet, und häufig wiederholte sich das gesamte Geschehen in den nächsten Tagen nochmals“, weiß Wolfgang Hochdörfer zu berichten. „Aber das Herbsten hat immer Spaß gemacht. Obwohl es harte Arbeit war, war immer ein großartiges Erlebnis!“
Information
Der Text ist in der Arbeitsgruppe „Altes Klingenmünster“ (AAK) entstanden – eine von fünf Gruppen der Initiative „Zukunft Minschder“. Das Interview führte Jürgen Müsel im September 2014. Die AAK hat sich vorgenommen, die noch greifbaren Erinnerungen älterer Mitbürger festzuhalten und Bildmaterial dazu zu sammeln. Sie bedankt sich herzlich für die Bilder, Postkarten und anderen Informationen, die in den letzten Monaten zur Verfügung gestellt worden sind. Wer sich für die Arbeitsgruppe interessiert, wer alte Bilder hat oder über seine Erinnerungen reden möchte, wendet sich am Jürgen Müsel, Telefon 06349/8009.